Aus der Schrift
"Das Gebrauchspferd und seine Ausbildung -
Beiträge zum richtigen Verständnis
der Reitvorschrift"
von Hans von Heydebreck,
dem Mitverfasser der deutschen Reitvorschrift
Die verschiedenen Punkte, zu denen wir im Rahmen dieser Konferenz Einigkeit erzielen wollten, haben wir, die Gruppe der Referentinnen, im Vorfeld ausführlich diskutiert und besprochen. Die interne Einigkeit war für uns die Voraussetzung für die Zusammenarbeit im Rahmen der Konferenz und hat bereits viele unserer Gespräche wieder auf den Punkt gebracht, wenn wir uns in Einzelheiten zu verlieren drohten.
Die Einigkeit in grundlegenden Dingen ist Voraussetzung für eine konstruktive Auseinandersetzung auch im Dissens. Wer z.B. Biotensegrität für neumodischen Blödsinn hält oder Faszien als Einzelteile betrachtet, dem erschließen sich viele völlig logische Zusammenhänge nicht. Es ist daher auch für eure eigene Arbeit wichtig, in grundlegenden Fragen gegenüber eurer Klientel, anderen Berufen rund ums Pferd und auch euch selbst Klarheit zu schaffen.
Die folgenden Punkte wurden während der Konferenz erläutert, am Ende der Konferenz den etwa fünfzig Teilnehmenden vorgestellt und ohne Widerspruch akzeptiert:
1 Biotensegrität
Gültigkeit der Biotensegrität als allem Leben zugrundeliegende Struktur und Bauweise, als innewohnende Idee im platonischen Sinne, als Prämisse für weiterführende Annahmen, als Alternative zum Erklärungsmodell der Biomechanik, als physiologische Reaktionsweise auf die Umwelt, als Bewegungsidee und Behandlungsgrundlage.
Die vormals als Gelenke verstandenen Verbindungen zweier Druckelemente dienen vielmehr der Umlenkung der Kraft der Zugelemente. Hebel und Scherkräfte verlieren ihre Bedeutung.
Quellen: www.biotensegrity.com von Stephen Levin, das Buch „Basic Structure of Life“ von Graham Scarr, „Living Biotensegrity“ von Danièle-Claude Martin, „Jenseits der Biomechanik – Biotensegrity“ von mir.
2 Der Faszienkörper
ist - unter anderem - ein Bewegungs- und Problemlösungsorgan, in dem alles mit allem verbunden ist und zudem das Netz, das von den Knochen aufgespannt wird und das gleichzeitig für „Spaciousness“ sorgt, für Kompressionsfreiheit zwischen den Knochen.
Er ist ein lernfähiges, sich fortwährend selbst organisierendes und optimierendes Organ.
Aus der Schrift "Das Gebrauchspferd und seine Ausbildung - Beiträge zum richtigen Verständnis der Reitvorschrift" von Hans von Heydebreck, dem Mitverfasser der deutschen Reitvorschrift |
3. Kriterien für die Gebrauchshaltung
zur Beurteilung des Ausbildungsstandes von Pferden sowie von Übungen und deren Nützlichkeit fürs Pferd:
a) Reiner Gang = Eine klare Fußung in jeder Gangart ist eines der übergeordneten Ausbildungsziele und Hauptkriterium für die Beurteilung der Korrektheit der Ausbildung. Abweichungen sind möglich während des Trainings außerhalb der Komfortzone. Im Ergebnis, in der Vorführung dessen, was erstrebenswert ist, sind Taktfehler ein Ausschlusskriterium.
b) Der Fesselstand und das Timing in der Bewegungsrichtung des Fesselkopfes verändern sich kurzfristig durch Veränderung in der Belastung, durch die Verschiebung der Bewegungsphasen und langfristig durch Training. Ein unterschiedlicher Fesselstand im diagonalen Beinpaar in der Stützbeinphase im Trab weist auf Taktverschiebungen hin.
c) Linie Hüfte – CTÜ – Maul, wie von Hans von Heydebreck in seiner Schrift „Das Gebrauchspferd“ beschrieben, stellt ein zu beobachtendes Merkmal dar, das sich im Laufe der Ausbildung von abfallend über waagrecht hin zu evtl. aufsteigend entwickeln sollte, wobei mit der waagerechten Linie die Gebrauchshaltung erreicht ist. Im Ergebnis, in der Vorführung dessen, was erstrebenswert ist, ist ein von der Linie Hüfte-Maul deutlich abweichender CTÜ ein Ausschlusskriterium.
4. LSG-These:
Ein dauerhaft unter Last geöffnetes LSG ist pathogen / führt zu pathogenen Bewegungsmustern.
Es gibt für jedes Pferd eine neutrale, stabile Stellung des LSG. Der passive Stehapparat ist auf ein neutral geschlossenes LSG angewiesen.
Hankenbeugung und aktive Öffnung des LSG schließen sich gegenseitig aus.
Für eine tensegrale Aufspannung des gesamten Körpers ist ein frei aus der Neutralnullstellung heraus bewegtes Becken Grundvoraussetzung. Nur eine effektive Stemm-/Entladungsphase bei Streckung der Gliedmaßengelenke der Hinterhand und des Lumbosakralgelenks ermöglicht die Übertragung der Kraft auf das gesamte Muskel- Fasziennetzwerk. Video
5 Atmung
Die Atmung ist bei Mensch und Pferd an die Schubkraft gebunden, da das Zwerchfell zum tiefliegenden, rumpfstabilisierendem Muskelsystem gehört und nur in einem aktiven System aus Aufspannung und Bewegung funktionieren kann.
6. Relative Hankenbeugung
ist etwas das dem Pferd situativ jederzeit zur Verfügung steht und entsteht durch Aufladung und Entladung der tensegralen Strukturen. Das Becken bleibt während der Stützbeinphase im Trab auf gleicher Höhe.
Die Beugung der großen Gelenke der Hinterhand unter Last findet in gesunden Bewegungsabläufen in unspektakulärem Umfang jeder Zeit statt!
Die Hankenbeugung ermöglicht es dem Pferd, Energie zu speichern und sie kontrolliert (Menge und Richtung) wieder abzugeben. Aus Sicht des Pferdes ist ausgeprägte Hankenbeugung nur sinnvoll, wenn die Bewegungssituation sie zur Problemlösung erfordert. Also in Übergängen jeder Art.
Hankenbeugung ist die Einstellungsmöglichkeit für die Kraftrichtung. Je höher das Beugungspotenzial, um so größer die Flexibilität in Bezug auf Richtung und Kraftausdruck.
Hankenbeugung als Selbstzweck ist abzulehnen.
7. Keine Hankenbeugung
Das Heben der Kruppe in der Mitte der Stützbeinphase im Trab, verbunden mit einem geöffneten LSG, stellt ein pathogenes Bewegungsmuster dar.
8. Relatives Optimum
Das relative Optimum ist die beste Version seiner selbst, die ein Pferd zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Bedingungen sein kann.
Bildvergleiche sollten immer Vergleiche zwischen Bildern des relativen Optimums zu verschiedenen Zeitpunkten und unter definierten Bedingungen stattfinden.
Wenn sich das relative Optimum mit Blick auf die oben genannten Kriterien auf dem Weg zum gewählten Ideal verschlechtert, ist entweder der Weg unpassend oder das gewählte Ziel.
* Referentinnen: u. a. Katja Eser, Maike Knifka und Maren Diehl
Kommentare
Kommentar veröffentlichen